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Partnerliebe – die Spannbreite heutiger Liebesbeziehungen

Wenn wir eine größere Anzahl von Personen fragen, was sie unter Liebe verstehen, werden wir zum Teil sehr verschiedene Antworten erhalten: Respekt, Wertschätzung, Vertrauen, empathisches Zuhören-Können, befriedigende Sexualität, körperliche Nähe und Zärtlichkeit, Verlässlichkeit, gemeinsame Hobbys, ähnliche Wertesysteme, Gefühle/Gedanken/schöne Momente mit dem Partner teilen und noch einiges andere mehr.

Meiner therapeutischen Erfahrung nach gibt es keinen objektivierbaren Liebesbegriff. Liebe ist das, was beide Partner als die jeweiligen Stützpfeiler für ihre Liebesbeziehung ansehen. Und dies hängt von den jeweils individuellen Bedürfnissen, Wünschen und Vorlieben ab, die sich aus zahlreichen Quellen speisen (nicht zuletzt aus Kindheitserfahrungen, die teilweise auch kindliche Bedürftigkeiten hinterlassen). Insofern gibt es nicht „die Liebe“, sondern nur gelebte Liebesbeziehungen, die angesichts von manchen Gemeinsamkeiten und oft noch mehr Unterschieden funktionieren … oder eben nicht. Eine hilfreiche Übersicht über verschiedene Entwicklungsphasen in einer Beziehung finden Sie hier.

Zwei Extremformen der partnerschaftlichen Liebe kamen auf der Eingangsseite dieses Kapitels schon zur Sprache:

  • die „besitzergreifende Liebe“ (mania), die einen Zustand ständiger Verschmelzung der beiden Partner anstrebt und vor allem das Gemeinsame und Verbindende betont, und
  • die „pragmatische Liebe“ (pragma), die nicht die gefühlsmäßige Verbundenheit selbst, sondern das gemeinsame Streben nach ausgehandelten und dem praktischen Leben verpflichteten Zielen, in den Mittelpunkt der Partnerschaft stellt.

Beide Liebesformen kann man als entgegengesetzte Pole betrachten, zwischen denen sich die partnerschaftlichen Erwartungen an eine Liebesbeziehung einordnen lassen. Liebesbedürfnisse, die in Richtung „mania“ streben, zeichnen sich durch eine starke Fixierung auf den Partner aus, der sowohl für das eigene Lebensglück sorgen als auch Geborgenheit und Sicherheit vermitteln soll. Gegenseitige Abhängigkeit sowie schnelle Verfügbarkeit sind entscheidende Beziehungswerte und gemeinsame Rituale bekommen eine Verbundenheit sichernde Bedeutung. In einer abgemilderten Form entspricht das auch dem romantischen Liebesideal des „Mr./Ms. Right“, das bis heute in zahlreichen literarischen und filmischen Liebesromanzen zu einem Happy End geführt wird.

Vor über 200 Jahren trat die Idee der romantischen Liebe als Basis langfristiger Verbindungen ihren Siegeszug an. Dies geschah zunächst im Bürgertum, denn romantische Liebe musste man sich auch leisten können (was für heutige Gesellschaften in gleicher Weise gilt). Vor dieser Zeit standen Partnerschaften traditionell unter dem Leitstern der „pragma“. Es waren also - zumeist von den Eltern geschlossene - Zweckgemeinschaften, die wirtschaftlichen, standesmäßigen oder anderen Sachzwängen folgten. Liebesbeziehungen existierten eher außerhalb der Ehe und waren in der Regel auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ausgerichtet. In den höchsten Schichten gab es dafür die Mätressen, die im Laufe der Jahrhunderte ihren Status einer bevorzugten Geliebten bis hin zu mächtigen Positionen am Hofe absolutistischer Herrscher ausbauen konnten – und bei entsprechender Attraktivität und intelligentem Charme ihrerseits ein Statussymbol darstellten.

Die pragmatische Liebe unserer Zeit versucht gleich zwei Entwicklungen Rechnung zu tragen: dem häufigen Scheitern romantischer Liebesideale und der zunehmendem Bereitschaft - gerade von Frauen - als unglücklich erlebte Beziehungen zu beenden (ein Resultat von wirtschaftlicher Unabhängigkeit durch zunehmende Gleichberechtigung sowie einem gut ausgebauten Sozialstaat). Persönliche Autonomie und die Verwirklichung der eigenen Ziele rücken so in den Mittelpunkt der Lebensführung und die jeweiligen Bedürfnisse nach sexueller Erfüllung sollten zwar innerhalb der Lebensgemeinschaft befriedigt werden, aber müssen dies nicht auf Dauer bzw. ausschließlich.

Dieses Lebens- und Liebesmodell findet unter dem Namen „Polyamorie“ zunehmend Anklang bei Menschen, die an der romantischen Vorstellung des „Alles-Mit-Einem-Für Immer“ bereits mehrfach gescheitert sind. Die Suche nach dem besonderen und einzigen Partner, der alle Bedürfnisse in gleicher Weise erfüllen kann, verliert somit an Bedeutung. Wer sich damit näher beschäftigen möchte, findet in dem Buch „Treue ist auch keine Lösung“ der beiden Paartherapeuten Lisa Fischbach und Holger Lendt eine leicht verständliche und psychologisch fundierte Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen von Treue-Versprechen auf der einen und Untreue-Vereinbarungen auf der anderen Seite.

Es gibt nur wenige Partnerschaften, die den beiden oben beschriebenen Extremformen von besitzergreifender und pragmatischer Liebe in Reinkultur folgen. Die Gegensätzlichkeit dieser Pole veranschaulicht aber sehr eindrucksvoll, wie groß die Spannbreite geworden ist, innerhalb derer sich die jeweiligen Liebesvorstellungen der Partner treffen und zu einem Konsens gebracht werden müssen. Ohne diesen ist eine längerfristige beidseitige Zufriedenheit kaum möglich. Denn letztlich geht es nicht nur um die Freude über das, was man hat, sondern auch um die Akzeptanz dessen, worauf man verzichtet. Oder um es mit einem Bonmot zu sagen: Glück ist nicht die Kunst, zu bekommen was man will, sondern es immer noch zu wollen, nachdem man es bekommen hat.

Die größten Gegner dieser Kunst sind

Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!

(Albert Schweitzer)

Hund und Katze