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Persönlichkeitsstörungen (Die Typologie der Psychiatrie)

In der psychiatrischen Krankheitslehre spricht man von einer Persönlichkeitsstörung, wenn bestimmte Merkmale einer Persönlichkeitsstruktur so stark ausgeprägt sind, dass hieraus ernsthafte Leidenszustände oder Konflikte resultieren - entweder für den Betroffenen oder seine Umgebung. Dabei wird anerkannt, dass ein definierter Persönlichkeitstypus mit all seinen zugehörigen Ausprägungen immer nur einen Teilaspekt der realen Persönlichkeit beschreiben kann. Auch im Umkehrschluss gilt, dass die individuelle Persönlichkeit in der Regel nicht alle Merkmale eines Typus aufweist. Hieraus folgt auch, dass bei einem Patienten zwei oder sogar mehrere Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert werden können (die sog. „Komorbidität“).

 

Für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung in der Psychiatrie ist Voraussetzung, dass die jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale im Laufe des Lebens weitgehend unverändert bleiben. Die Intensität der Verhaltensauffälligkeiten kann jedoch im Laufe der Zeit und in Abhängigkeit von den Lebensumständen schwanken. Im Folgenden finden Sie eine kurze Beschreibung der einzelnen Persönlichkeitsstörungen mit den jeweils wesentlichen Eigenschaften und besonderen Verhaltensmerkmalen.*)

 

Ich beginne mit der Darstellung der Persönlichkeitsstrukturen, die oft als „schwere Persönlichkeitsstörungen“ bezeichnet werden. Schwer bezieht sich zum einen auf die vermuteten Ursachen, die nach gängiger Anschauung in Störungen der frühkindlichen Autonomieentwicklung liegen. In dieser Zeit (etwa zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr) bildet und stabilisiert sich das Selbstgefühl des Kindes. Derart tiefgreifende Prägungen führen in der Regel zu einer schweren Therapierbarkeit bzw. aufwändigen Therapie. Zum anderen ist mit dem Prädikat „schwer“ aber auch die Bedrohung für die eigene Person oder Dritte gemeint, die von dieser „Charakterstörung“ ausgeht. Zu den schweren Persönlichkeitsstörungen zählen vor allem die Borderline- und die narzisstische Persönlichkeitsstörung. Aber auch die antisoziale Störung wird hin und wieder dazu gerechnet.

 

Borderline-Persönlichkeitsstörung

 

Eigenschaften: Impulsiv, labil, ziellos, emotional unkontrolliert, starke Selbstzweifel, Identitätsstörungen, Verlassens-Angst, Tendenz zu selbstschädigenden Handlungen (u.a. zur Spannungsreduktion)

 

Borderline-Persönlichkeiten durchleben starke Stimmungsschwankungen zwischen reizbarer Verstimmung bis hin zu unangemessener Wut und einem chronischen Gefühl innerer Leere. Es fällt ihnen sehr schwer, sich zu kontrollieren oder zu disziplinieren. Ihr Beziehungsverhalten ist intensiv, aber unbeständig und geprägt von extremen Schwankungen zwischen Idealisierung und Entwertung der Bezugsperson, die mal als einziger wahrer Freund und dann wieder als größter Feind erlebt wird. Da Borderliner sich als unerwünscht und schlecht empfinden, zeigen viele ein verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassen-Werden zu vermeiden. Daher sind sie auch schnell bereit, ihre Wünsche denen anderer unterzuordnen. Aus einem Gefühl der eigenen Hilf- und Machtlosigkeit heraus wird versucht, die Bezugsperson mit allen Mitteln an sich zu binden - bis hin zu Selbstmord-Drohungen.

 

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

 

Eigenschaften: Überheblich, arrogant, rücksichtslos, unempathisch, überempfindlich (insb. bei Kritik), Großartigkeits- und Überlegenheitsgefühle

 

Für narzisstische Persönlichkeiten besonders kennzeichnend ist ein grandioses Gefühl der eigenen Leistungen sowie der eigenen Wichtigkeit und Überlegenheit - sowohl im Verhalten als auch in der Fantasie. Sie sind von ihrer Bedeutung maßlos überzeugt und erwarten daher uneingeschränkte Bewunderung und bevorzugte Behandlung. Dies macht sie auch überempfindlich gegenüber jeder Kritik. Bei der Verfolgung eigener Ziele beachten sie die Belange anderer kaum und sind auch wenig fähig, sich in andere einzufühlen. Die vordergründige Selbstverliebtheit dient der Stabilisierung eines brüchigen Selbst-wertgefühls. Auch zwischenmenschliche Beziehungen, insb. Paarbeziehungen, dienen oft diesem Zweck. Der Narzisst „liebt“ in erster Linie um seiner selbst willen. Durch die häufig zu beobachtende Entwertung des Anderen wehrt er bedrohliche Selbstzweifel ab. Seine ausgeprägte Kränkbarkeit kann zu depressiven Krisen führen.

 

Mehr zum Thema Narzissmus sowie eine Abgrenzung zur Selbstliebe und zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung finden Sie hier.

 

Antisoziale Persönlichkeitsstörung (Fachbegriff: dissozial)

 

Eigenschaften: unzuverlässig, unempathisch, rücksichtslos, verantwortungslos, überempfindlich, aggressiv, gewalttätig, hohe Risikobereitschaft, geringe Angstneigung, fehlende Schuldgefühle

 

Antisoziale Persönlichkeiten halten sich selten an soziale und juristische Regeln und scheinen auch weniger unter nachteiligen Konsequenzen ihres Verhaltens zu leiden. Sie finden für sich Entschuldigungen und beschuldigen gerne andere. Die Schwächen anderer nutzen sie zu ihrem eigenen Vorteil schonungslos aus. Durch ihre geringe Frustrationstoleranz werden sie von ihren Emotionen schnell mitgerissen, was zu rücksichtslosem, verletzendem oder erniedrigendem Verhalten führen kann. Gerade unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen - bei diesem Typus weit verbreitet - kann es auch zu Gewaltdelikten kommen.

 

Paranoide Persönlichkeitsstörung

 

Eigenschaften: Rechthaberisch, misstrauisch, eifersüchtig, leicht gekränkt, fanatisch, querulatorisch, streitsüchtig, humorlos, empfindlich (insbesondere gegenüber Ablehnung und Misserfolg)

 

Paranoide Persönlichkeiten reagieren extrem überempfindlich auf Kritik. Durch ihr tief greifendes Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen, werten sie unangenehme Begebenheiten leicht als Anfeindungen gegen ihre Person. Sie fühlen sich häufig ausgenutzt oder benachteiligt, wodurch sie auch gerne (Rechts-)Streits gegen Personen oder Institutionen führen. Die meisten Paranoiden sind kämpferisch und aggressiv, manche reagieren in späteren Phasen aber auch mit Hilflosigkeit und Resignation.

 

Schizoide Persönlichkeitsstörung

 

Eigenschaften: scheu, verschlossen, kühl, schroff, überempfindlich, misstrauisch, ziehen sich gern zurück, bleiben distanziert, leben sozial isoliert bis hin zur Einsamkeit

 

Schizoide Persönlichkeiten vermeiden es, Gefühle zu zeigen. Sie haben eine eingeschränkte Emotionalität und damit auch nur gering ausgeprägte Fähigkeiten, sich von Herzen zu freuen. Durch ihre soziale Distanziertheit haben sie wenige oder gar keine Freunde und Bekannten. Natürliche Kontaktaufnahme fällt ihnen schwer und die Meinung anderer ist ihnen meistens egal. Werden sie in ihrer Neigung zur Isolation kriti-siert, kann es zu Wutausbrüchen oder Gegenangriffen kommen.

 

Histronische Persönlichkeitsstörung (früher: hysterisch)

 

Eigenschaften: Übertrieben emotional, oberflächlich, lebhafte Phantasie, effektvolle Darstellung, beeindruckendes Auftreten, demonstratives Leiden

 

Histronische Persönlichkeiten haben ein übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit. Sie fordern ständig Bestätigung, Anerkennung und Lob. Die Betroffenen fühlen sich unwohl, wenn sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Um dies zu erreichen, scheuen sie sich nicht, übertrieben attraktiv oder verführerisch aufzutreten. Von Karl Jaspers stammt der Satz: „Die hysterische Persönlichkeit hat das Bedürfnis, vor sich und anderen mehr zu scheinen, als sie ist und das Bedürfnis mehr zu erleben, als sie erlebnisfähig ist“.

 

Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (Fachbegriff: anankastisch)

 

Eigenschaften: perfektionistisch, übergenau, gründlich, sorgfältig, prinzipientreu, pedantisch, eigensinnig, sparsam, rigide, solide Lebensführung

 

Zwanghafte Persönlichkeiten neigen zu übertriebener Ordentlichkeit, Sparsamkeit und manchmal auch zu penibler Sauberkeit mit übermäßiger Empfindlichkeit gegenüber Schmutz. Viele von ihnen ordnen Vergnügen und zwischenmenschliche Kontakte der Pflichterfüllung und der Arbeit unter. Sie haben in der Regel starre und moralisch anspruchsvolle Verhaltensmuster, die sie eigensinnig vertreten. Einige versuchen ihre Prinzipien auch der Umwelt aufzunötigen, obwohl Zwanghafte in der Regel häufiger mit sich als mit anderen in Konflikt geraten.

 

Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (Fachbegriff: sensitiv)

 

Eigenschaften: Empfindsam, verletzbar, schüchtern, überempfindlich, wenig durchsetzungsfähig, leicht zu beeindrucken, durchgängige soziale Ängstlichkeit

 

Ängstlich-vermeidende Persönlichkeiten haben beständig Angst vor negativer Beurteilung, was sich in Verlegenheit, Minderwertigkeitsgefühlen sowie Vermeidung sozialer Kontakte und beruflicher Herausforderungen zeigt. Ärger und Kummer schlucken sie herunter, tragen jedoch lange und schwer daran. Belastende Erlebnisse können schlecht vergessen werden, sondern bleiben ständig bewusst und sorgen für emotionales Leid. Sensitive sind extrem gehemmt, Aggressionen zu zeigen. Erst wenn nach längerem Einstecken und Runterschlucken, das sprichwörtliche „Fass übergelaufen ist“, können sie heftig explodieren und verlieren dann jede Kontrolle über sich.

 

Abhängige Persönlichkeitsstörung (Fachbegriff: asthenisch)

 

Eigenschaften: Hilflos, unterwürfig, aufopfernd, entscheidungsunfähig, wenig durchsetzungsfähig, leicht ermüdbar

 

Abhängige Persönlichkeiten sind durch unterschiedliche Ängste gekennzeichnet. Z.B. haben sie Angst vor Verantwortung und ordnen sich schnell unter, da sie befürchten, verlassen zu werden. Ebenso haben sie Angst davor zu versagen und dann negativ beurteilt zu werden. Sie fühlen sich oft seelisch und körperlich schwach, wodurch es ihnen noch schwerer fällt, eigene Ansprüche geltend zu machen. Ihre geringe Selbstsicherheit führt dazu, dass sie oft ausgenutzt werden. Dieser Persönlichkeitstypus neigt besonders dazu, depressiv zu werden, was von einigen Psychologen mit dem Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit“ erklärt wird.

 

Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung (Fachbegriff: negativistisch)

 

Negativistische Persönlichkeiten zeigen grundsätzlich eine passiv-kritische Grundhaltung gegenüber persönlichen, sozialen und beruflichen Anforderungen, die von Anderen kommen. Sie haben häufig das Gefühl, nicht verstanden, ungerecht behandelt oder unangemessen in die Pflicht genommen zu werden. Etwaige Aggressionen bringen sie nicht offen, sondern bevorzugt durch passives Verhalten zum Ausdruck - z.B. durch Vergesslichkeit, Unpünktlichkeit oder Verzögern. Je zahlreicher die Situationen sind, auf die sich dieses Verhalten ausdehnt, desto zielloser wird ihre Lebensführung. Überlegungen zur Entstehung dieser Persönlichkeitsstruktur gehen u.a. davon aus, sie resultiere aus einem Elternverhalten, das Selbständigkeit und Durchsetzungswillen des Kindes schon früh bestraft.

 

 

*) Für einen Teil der Eigenschafts- und Verhaltensbeschreibungen diente als Quelle das Buch „Persönlichkeitsstörungen“ von Peter Fiedler (2007)

Die Liebe ist die kleine Schwester des geliebten Lebens!

(Botho Strauss)

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