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Die Kultur des Teilens der egalitären Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften


Aufgrund diverser anthropologischer und archäologischer Erkenntnisse ist es inzwischen unstrittig, dass Menschen und ihre evolutionären Vorfahren den größten Teil der vergangenen Millionen Jahre in kleinen Horden gelebt haben. Unabhängig vom jeweiligen Lebensumfeld finden sich zahlreiche Gemeinsamkeiten: Jäger-und-Sammler-Verbünde waren nahezu immer egalitäre Gesellschaften, d.h. alle Mitglieder der Gruppe hatten den gleichen Zugang zu zentralen Ressourcen. Zu teilen war nicht nur erwünscht, sondern quasi ungeschriebenes Gesetz. Es galt bspw. als Schande, Nahrung zu horten oder zu verstecken. Gänzlich anders als in unserer Gesellschaft, in der der Fokus des Einzelnen vor allem auf Autonomie und Eigentum gerichtet ist, stand dort das Wohlergehen der Gemeinschaft im Vordergrund.

Die Kultur des Teilens erstreckte sich auch auf Facetten des Lebens, die selbst im aktuell wieder auflebenden Trend einer „sharing-Ökonomie“ undenkbar sind. Forschungsarbeiten verschiedenster Wissenschafts-Disziplinen belegen, dass es sowohl üblich war, die Säuglinge anderer Frauen zu stillen, als auch mehrere sexuelle Beziehungen zugleich zu haben (für Männer wie für Frauen). Und ergänzend zu den wissenschaftlichen Belegen weisen auch die Berichte von Entdeckern, Missionaren und Anthropologen über heute noch existierende Jäger-und-Sammler-Gesellschaften auf eine Kultur des selbstverständlichen Partnertauschs hin.

Nun stellt sich die Frage, was der evolutionäre Vorteil davon ist, nicht nur natürliche Ressourcen, sondern auch Sexualpartner miteinander zu teilen. Neben den biologischen und genetischen Gründen, die ich in Kapitel 2 ausführlich beschrieben habe, liegt aus soziologischer Sicht die Vermutung nahe, dass dadurch die sozialen Bande verstärkt wurden. Sexuelle Freizügigkeit ohne Besitzansprüche und Eifersucht könnte dazu beigetragen haben, eine Gesellschaft zusammen zu halten, in der jeder auf den anderen angewiesen war. Hinzu kommen sozio-ökonomische Vorteile für die Gemeinschaft, wie zum Beispiel, dass die Unfruchtbarkeit einzelner Männer den Aufbau von Familienstrukturen nicht hemmt.

Wir finden also in der anthropologischen Vergangenheits- und Gegenwarts-Forschung zahlreiche Beispiele einer von Scham und Schuldgefühlen unbelasteten Sexualität. Von Gemeinschaften, in denen sexuelle Exklusivität genauso wenig eine Rolle spielte wie biologische Vaterschaft. Durch welche kulturellen Umbrüche erlangten dann Monogamie und die Frage der Vaterschaft eine so wichtige Bedeutung für das gemeinschaftliche Zusammenleben, dass es das Sexualverhalten prägte?

Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.

(Antoine de Saint-Exupéry)