Narzisst und Co-Narzisst (Narzissmus als beziehungstiftendes Element)
Wie wirkt sich nun das starke Bedürfnis nach Liebe und Bewunderung einerseits und das ausgeprägte Kontroll- und Machtstreben andererseits auf die Beziehungsfähigkeit von narzisstischen Persönlichkeiten aus? Folge dieser widersprüchlichen Persönlichkeitsstruktur ist eine große emotionale Ambivalenz: Auf der einen Seite ist der Narzisst gerne in einer Beziehung, um hierdurch ausreichend Bestätigung und Bewunderung zu erfahren, wodurch er sich natürlich innerlich abhängig macht. Auf der anderen Seite lehnt er jede Einmischung in seine Selbstbestimmung und Autonomie in der Regel äußerst brüsk ab, da er hierin eine kränkende Bevormundung und Kontrolle sieht. Er führt also eine Art Stellvertreterkrieg um Unabhängigkeit im Kleinen, während er sich durch sein narzisstisches Bedürfnis nach kritikloser Bewunderung - unbewusst (!) - stark abhängig fühlt.
Dies erklärt auch den Hang zu kurzzeitigen Affären oder längerfristigen Nebenbeziehungen: diese ermöglichen nämlich Rückzug und Flucht bei Enttäuschung, ohne Einsamkeit oder den Verlust des Gefühls von Begehrt-Werden zu riskieren. Wo er Anerkennung oder Flirt-Erfolge wittert - also Nahrung für seine Ich-Bestätigung -, tritt er äußerst charmant und liebenswürdig auf.
Ein hohes Verführungspotential gerade für männliche Narzissten stellen attraktive oder anderweitig begehrenswerte Frauen dar. Deren Eroberung bedeutet eine fast konkurrenzlose narzisstische Befriedigung für Männer, deren männliches Selbstwertgefühl durch äußerliche oder körperliche Unzulänglichkeiten stark beeinträchtigt ist (am häufigsten bei kleinen Männern). Ziel ist der euphorisierende Kick mit garantierter Selbstwert-Explosion: „Die will mich!“
Im Ergebnis erleben die Partner von Menschen mit hohen narzisstischen Persönlichkeitsanteilen meist ein Wechselbad der Gefühle von Anziehung und Abstoßung. Erobernde Werbung oder kalte Zurückweisung werden danach gesteuert, wo die ersehnte Bewunderung gerade am vielversprechendsten oder am „sättigendsten“ erscheint: ob vom Partner oder in der „freien Wildbahn“. Ist der narzisstische Partner zulange auf Bestätigungs-Entzug, wird er schnell zu einem Ausbund an schlechter Laune und ewiger Kritik.
Die Symbiose von Narzissten und Co-Narzissten
Die bisherigen Betrachtungen geraten zu einseitig, wenn die andere Seite einer solchen Beziehung nicht auch gewürdigt wird. Zu einer Partnerschaft gehören nämlich immer zwei – und jeder trägt für das, was er tut und lässt, oder was er zu erdulden bereit ist, selbst Verantwortung. Für Beziehungen, in denen die jeweiligen neurotischen Schwächen der Partner wie Schlüssel und Schloss zusammen passen, hat der eidgenössische Paartherapeut Jürg Willi den Begriff der „Kollusion“ geprägt.
In der „narzisstischen Kollusion“ treffen sich Narzisst und „Co“- bzw. „Komplementärnarzisst“ zur wechselseitigen Befriedigung ihrer Bedürfniswelten. Während der eine die Bewunderung, Verehrung und Bestätigung genießt, fühlt sich der andere sich durch die demonstrierte Grandiosität und ggf. die materiellen Erfolge des Partners mit aufgewertet. Dabei hat der Co-Narzisst die gleichen seelischen Probleme (hohe Kränkbarkeit, Sehnsucht nach Akzeptanz, Liebe und Verständnis), wählt nur einen anderen Weg, um sein Defizit zu stillen. Er identifiziert sich mit dem überlegenen Partner, um über die Zugehörigkeit zum Idealisierten eine Aufwertung der eigenen Person zu erfahren. Daher müssen der Glorienschein erhalten und Mängel ignoriert oder ausgeglichen werden.
In der Praxis werden beide Rollen oft geschlechtstypisch besetzt, d.h. die Rolle des Co-Narzissten übernehmen in den meisten Fällen Frauen, deren „Prinz sie hoch zu Ross abholt“, damit auch ihr Leben durch „seinen strahlenden Glanz“ erleuchtet wird. Der Mann wiederum fühlt sich in seinem Selbstbild als „Retter und Ritter“ ungemein geschmeichelt und genießt die ihm dargebotene Anhimmelung.
Man darf dabei nicht unterschätzen, dass der Narzisst ob seines ungehemmten Egoismus auch Schuldgefühle hat. Diese werden jedoch in aller Regel verdrängt oder projiziert bzw. wandeln sich um in Aggression, Kritiksucht und sogar Demütigung des Co-Narzissten. Opfert sich dieser daraufhin noch mehr auf, wird noch devoter, verstärken sich wiederum sowohl Schuldgefühle als auch Kritik des Narzissten. D.h. er wird umso mehr Täter, je mehr der andere Opfer wird und umgekehrt.
Wie auch alle anderen Paar-Kollusionen ist die narzisstische "Schlüssel-Schloss-Symbiose" ebenfalls höchst anfällig ggü. Entwicklungsbedürfnissen von einer der beiden Partner. Die Perspektiven können sich nämlich mit der Zeit ändern und münden dann in bereits vorgezeichneten Krisenszenarien. Im einen Fall empfindet der Narzisst entweder die abhängige, teils demütige Haltung des kritiklosen Bewunderers als einengend, unwürdig oder gar verachtenswert. Oder er findet einen gesellschaftlich höherwertigeren Bewunderer, der die Brüchigkeit seines Charme-Repertoires noch nicht durchschaut.
Im anderen Fall reift beim Co-Narzissten irgendwann der Impuls heran, selbstständiger zu werden. Dann beginnt er, sich gegen die als demütigend erlebte Selbstherrlichkeit des narzisstischen Partners zu wehren und begehrt gegen dessen kalte Rücksichtslosigkeit auf. Im darauf folgenden Stadium gegenseitiger Schuldzuweisungen bleibt den Betroffenen der entscheidende Erkenntnisschritt in aller Regel verwehrt: Den aktuellen Konflikt in Bezug zu setzen mit den anfänglichen, jeweils beziehungsstiftenden Bedürftigkeiten.
Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!
(Albert Schweitzer)