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Unterschiedliche sexuelle Bedürfnisse (sowie biologische Veranlagungen)

 

Eine Begleiterscheinung der emanzipatorischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts war die These, dass Männer und Frauen in nahezu allem gleich sind. Damit tat man - wie wir heute wissen - beiden Geschlechtern unrecht. Und wohl auch keinen Gefallen.

In all den Jahrhunderten davor war die Tatsache unstrittig, dass Männer und Frauen sich in Vielem unterscheiden. Auch heute geht die Tendenz der wissenschaftlichen Forschung eher wieder in die Richtung, die Unterschiede deutlich zu machen. Ein gutes Beispiel dafür ist die zunehmende Untersuchung von Medikamenten daraufhin, ob sie bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Über Jahrzehnte hatte man nämlich dem Umstand, dass die pharmakologische Forschung vor allem die Reaktionen männlicher Körper untersuchte, keinerlei Beachtung geschenkt. Sehr zum Leidwesen der weiblichen Gesundheit.

Kennen Sie den Spruch "Männer reden mit Frauen um mit ihnen zu schlafen, Frauen schlafen mit Männern, um mit ihnen zu reden"? Auch wenn dies sicherlich eine der Pointe geschuldete Überspitzung ist, kommen hierin die unterschiedlichen Präferenzen der Geschlechter hinsichtlich Intimität zum Ausdruck. Männer haben im Allgemeinen ein höheres Bedürfnis nach sexueller Intimität, Frauen nach emotionaler Intimität, vor allem nach dem Austausch von täglichen Erlebnissen und den damit verbundenen Gefühlen.

Im engeren Sinne auf Sex und sexuelles Begehren bezogen, gelten folgende geschlechtsspezifischen Unterschiede - zumindest zurzeit - als gesichert:

  • Frauen benötigen in der Regel mehr Zeit, um ein gewisses Erregungsniveau zu erreichen 
  • Ist dieses Plateau jedoch erst einmal erreicht, sinkt die Erregung bei Frauen nicht so schnell wieder ab - im Gegensatz zum nahezu abstürzenden Erregungsniveau des Mannes nach dem Orgasmus. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Prolaktin und andere Hormone, die bei einem Orgasmus freigesetzt werden, bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken. Daher:
  • Während Männer erst mal eine Pause nach ihrem Höhepunkt brauchen, können bei Frauen nach dem ersten Orgasmus schnell weitere folgen. Auch wenn dies nicht für alle Frauen in gleicher Weise gilt, bleibt jedoch festzustellen, dass die weibliche Kapazität für Orgasmen die männliche nennenswert übertrifft.
  • Frauen sind an einer Vielzahl von Körperstellen sexuell stimulierbar, wobei die dort jeweils bevorzugte Art der Stimulation (z.B. sanft/ fest, langsam/schnell) individuell sehr unterschiedlich ist (im Gegensatz zum überwiegend sehr penisfixierten Mann)
  • Männer sprechen stark - manchmal ausschließlich - auf äußere Reize an. Für die meisten Frauen spielen Persönlichkeitsmerkmale sowie ein Gleichklang im Fühlen oder Denken eine mindestens ebenso große Rolle hinsichtlich sexueller Attraktivität.
  • Männer sind eher als Frauen daran interessiert, sich auch mit kaum bekannten Menschen auf Sex einzulassen.
  • Bei der bevorzugten sinnlichen Wahrnehmung unterscheiden sich Frauen und Männer ebenfalls: Männer bevorzugen visuelle Reize, Frauen auditive. Daher legen Männer oft großen Wert darauf, beim Sex das Licht anzulassen. Für Frauen hingegen ist die Stimme des Partners wichtig, sie hören auch lieber Musik beim Sex (Männer können sich ja ohnehin immer nur auf eine Sache konzentrieren).
  • Und auch beim Sex gilt, was viele andere Lebensbereiche in gleicher Weise betrifft: Bei Problemen möchten Männer diese am liebsten alleine lösen, Frauen hingegen im Gespräch mit ihrem Partner. Grundsätzlich ist die Beziehungsebene für Frauen wichtiger als für Männer.

Ein Punkt fehlt in dieser Aufzählung bewusst. Auch in den oben angesprochenen Jahrzehnten, in denen geschlechtsspezifische Unterschiede klein geredet wurden, schien es eine unumstößliche Tatsache, dass der sexuelle Appetit des Mannes ungleich größer war, als der der Frau. Nahezu dogmatisch drehte sich jede wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet ausschließlich um die Frage nach den Ursachen dafür.

Schon bei den folgenden Ausführungen in diesem Kapitel zur flexibleren Sexualität der Frau, noch mehr aber bei der Betrachtung unserer biologischen Wurzeln geht es daher auch darum: dieser scheinbar ewigen Gewissheit, dass die weibliche Lust deutlich weniger ausgeprägt ist als die männliche, die aktuellen Erkenntnissen aus Forschung und Wissenschaft gegenüberzustellen. Ein wesentlicher Fokus liegt dabei auf der Frage nach den jeweils prägenden Anteilen von unserer Natur einerseits und den kulturellen Einflüssen andererseits.

Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.

(Antoine de Saint-Exupéry)