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Sexuelle Selektion zur Genoptimierung (unsere 'untreuen' Gene)

 

Das Genoptimierung-Modell kann als Standardmodell der „evolutionären Psychologie“ bezeichnet werden. Die ersten Publikationen in den 90er Jahren, die auf ein breiteres Interesse stießen, bezogen sich auf wesentliche Kerne dieses Modells. Daher dienten auch die meisten Forschungsarbeiten vor allem der Untermauerung der entsprechenden Thesen.

Unabhängig davon habe ich mit der Darstellung des Spermienkonkurrenz-Modells begonnen, da sich beide Modelle m.E. nicht ausschließen, sondern lediglich verschiedenen evolutionären Entwicklungen zuzurechnen sind. Dabei ordne ich die biologischen Entwicklungen, auf denen die Idee der Spermienkonkurrenz fußt, einer früheren entwicklungsgeschichtlichen Phase zu. Dementsprechend habe ich eine - nach meiner Einschätzung - chronologische Darstellung der evolutionären Prozesse gewählt.

Ein zentraler Begriff im Genoptimierungs-Modell ist die „sexuelle Selektion“. Sie gründet auf dem Gedanken, dass sich im Laufe der Evolution die sexuellen Verhaltensmuster von Weibchen und Männchen gegensätzlich entwickelt haben. Dieser Entwicklung lägen zwei Ungleichheiten zugrunde: Zum einen stehe dem begrenzten Vorrat an Eizellen des Weibchens ein unerschöpflicher Samenvorrat des Männchens gegenüber. Ein noch wesentlicherer Unterschied sei jedoch, dass bei der Mehrzahl aller Säugetier-Arten das Weibchen mehr in die Nachkommen investiere als das Männchen (austragen, säugen, versorgen etc.). Daher selektiere das Weibchen äußerst sorgfältig genetisch geeignete Männchen. Diese wiederum seien - ganz im Gegenteil - überhaupt nicht wählerisch. Vielmehr trachteten sie danach, ihren Samen breitest möglich zu verstreuen, um auf diese Weise die Chancen auf Weitergabe ihrer Gene zu erhöhen.

Es ist offensichtlich, dass bei diesem Modell die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern in einem Konflikt stehen. Allerdings mit einer ähnlichen Konsequenz im Hinblick auf Misstrauen und Kontrollbedürfnis: Männer müssen Frauen überwachen, um nicht zu riskieren, ihre Fürsorgeenergie an fremde Gene zu vergeuden, ohne sich selbst fortzupflanzen. Und Frauen können Männern nicht vertrauen, da sich diese mit allen Konkurrentinnen paaren wollen, die „nicht schnell genug auf dem Baum sind“. Wenn daraus dann abgeleitet wird, dass es Frauen beim Sex weniger um die Befriedigung ihrer Lust geht als um die Sicherheit der Beziehung, ist es nicht mehr weit bis zum kulturellen Dogma der „lustlosen Frau“.

Das Genoptimierungsmodell bietet eine einfache Erklärung für Misstrauen, Eifersucht und daraus resultierende Kontrollbedürfnisse von beiden Geschlechtern. Die widersprüchlichen Ziele der männlichen und weiblichen Fortpflanzungs-Strategien sind somit eine verlässliche Quelle für Unzufriedenheit und Konflikte im sexuellen Miteinander. Männer sind dann verständlicherweise sowohl eifersüchtig als auch notorische Fremdgeher. Wenn Fremdgehen aber bei Frauen ebenfalls keine Ausnahme ist (und das ist unbestreitbar), welchen evolutionären Grund gibt es dafür? Und wie gut stehen dann die Wetten auf Treue in der Partnerschaft?

Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.

(Antoine de Saint-Exupéry)