Skip to main content

Freie Liebe im Summer of Love (die sexuelle Revolution und ihre Folgen)


Bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre hinein waren die westlichen Kulturkreise von einer starken Prüderie gekennzeichnet, in der u.a. über Sex nicht gesprochen wurde. Paare fanden zwar meist aus Liebe zusammen; dass sie ein Leben lang zusammen blieben, hatte aber vor allem wirtschaftliche, teilweise auch kulturelle Gründe. Geschlechtsverkehr fand vermutlich in einer gewissen Regelmäßigkeit statt, immerhin gab es ja „eheliche Pflichten“. Ehebruch war bis 1969 strafbar (mit bis zu 6 Monaten Gefängnis, wenn dieser zur Scheidung führte), Homosexualität ebenso. Das Zeigen selbst von sekundären Geschlechtsmerkmalen (wie die weibliche Brust) in Zeitung, Fernsehen oder Werbung galt als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“.

Im Zuge der 68er-Bewegung schwappte die sogenannte „sexuelle Befreiung“ über nahezu ganz Westeuropa hinweg (ausgenommen die beiden Diktaturen in Spanien und Portugal bis Mitte der 70er). Ausgangspunkt war der „summer of love“ im Jahr 1967 in den USA (speziell in San Francisco), in der die Hippiebewegung einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Kulturelle Ausdruckform dieser neuen Sicht auf das Leben und auf Sexualität war u.a. das Musical „Hair“, das im Herbst 1967 uraufgeführt wurde. In einer Presseerklärung der Hippiebewegung wird der kulturell und sexuell revolutionäre Anspruch formuliert: "Die Generation die hier heranwächst, will durch ein freudvolles Leben und durch gegenseitige Umarmung ein neues, besseres Leben, ohne Ängste, Dogmen, kleinkarierte Rechthaberei und Misstrauen für alle Männer und Frauen Amerikas schaffen. Die Beziehungen der Menschen zueinander sollen harmonischer werden und in ihrer neuen, menschlicheren Form eine Wiedergeburt des Verständnisses, des Bewusstseins, der Entdeckung der Einheit der Menschheit und der Liebe mit sich bringen."

Als Protest gegen das Establishment erreichte diese Bewegung 1968 weite Teile der westlichen Welt und richtete sich sowohl gegen die politischen Strukturen und Dogmen („Macht kaputt was Euch kaputt macht“) als auch gegen die herrschende Sexualmoral („Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“). Eine eindrucksvolle Demonstration, dass Massen von jungen Menschen die Ziele dieser Bewegung auch friedlich unterstützten und sich dabei feierten, war das legendäre Woodstock-Festival im August 1969, bei dem auf einem Acker unweit von New York etwa eine halbe Millionen Festivalsteilnehmer zusammenkamen (und in diesen drei Tagen neben freier Liebe auch die bewusstseinserweiternden Wirkungen von Cannabis und LSD zelebrierten).

Nicht außer Acht lassen darf man dabei, dass das Ausleben sexueller Freizügigkeit deutlich erleichtert wurde durch die Antibabypille, die 1960 zunächst in den USA und ein Jahr später auch in der Bundesrepublik Deutschland als Verhütungsmittel zugelassen wurde. Der damaligen Zeit und den herrschenden Sitten entsprechend war sie zunächst jedoch weder politisch noch gesellschaftlich akzeptiert. Auch die Verschreibungsbereitschaft der Ärzte änderte sich erst nennenswert im Zuge der gesellschaftspolitischen Umbrüche Ende der 60er Jahre.

Nun ist es ja oft so, dass Revolutionen das Pendel zunächst massiv in die Gegenrichtung ausschlagen lassen. So war es auch mit der sexuellen Revolution. Sexuelle Untreue wurde offen ausgelebt als Zeichen der Ehrlichkeit den eigenen Fantasien und Sehnsüchten, aber auch dem Partner gegenüber. Doch diese Phase währte nur kurz, nachdem selbst die Vorzeige-Paare dieser Lebensweise in ihren Kommunen offensichtlich auch mit Eifersucht und ähnlichen Gefühlen zu kämpfen hatten. Die daraus resultierenden Konflikte fanden dann auch vor einer breiten Öffentlichkeit statt. Schon bald wurde sexuelle Untreue wieder nicht mehr einfach so hingenommen und erst recht nicht über längere Zeit ertragen.

Im Sprachgebrauch der Revolution erfolgte also - spätestens mit dem Ausklingen der 70er Jahre - eine Art Konterrevolution, in der die Treue eine Renaissance feierte. Die Monogamie wurde wieder zum Leitbild von Ehen und (dem gesellschaftlichen Wandel entsprechend) auf Dauer angelegten Partnerschaften.

Der nächste tiefgreifende Wandel ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Die bald darauf folgende digitale Revolution mit ihrem wachsenden Angebot an Partnervermittlungsbörsen (sowohl für Liebe als auch für Sex) hat einen neuen Markt der tausend Möglichkeiten geschaffen, auf dem die Befriedigung aller Wünsche und Sehnsüchte nur einen Mausklick entfernt zu sein scheint.

Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.

(Antoine de Saint-Exupéry)